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Warum schreibe ich?

Eine einfache Frage. Kurz und bündig. Ungleich schwerer zu beantworten, wenn ich nicht nur mit Plattitüden eines Small Talks langweilen möchte, sondern mit einer tiefgründigen, akkuraten Beschreibung meines Antriebs beeindrucken will. Ein langjähriger Freund von mir, ein überzeugter Esoteriker, würde mir folgendes empfehlen: Erforsche die hintersten, sorgfältig verborgenen Ecken deiner Seele, entgegne jeder beantworteten Frage ein „Warum?“, und am Ende einer langen Reise wirst du den absoluten Beweggrund all deines Tuns entdecken, sozusagen die Ur-Mutter aller Motivationen: die Sehnsucht nach Liebe! Doch in einer kurzen Abhandlung die Tiefen der menschlichen Psyche auszuloten, wäre dann doch etwas gewagt und würde den Rahmen sprengen. Gehen wir also zurück zu den oberflächlichen Wahrheiten und der Frage, weshalb mich die schreibende Zunft so fasziniert und ich mein Leben Schwarz auf Weiss verbringen möchte.
Bling! Ratsch! Ratsch!

Vielleicht, weil ich einer jener Schüler war, dem der Bezugsschein von drei Büchern pro Monat nicht genug war, um seiner Lesegier Bub zu werden? Oder weil ich schnell erkannt hatte, dass ich meine eher bescheidenen Mathematikbegabungen locker mit Bestnoten im Aufsatz wettmachen konnte? Vor allem dann, wenn sich meine überschäumende Fantasie frei entfalten durfte und die unzähligen Geschichten in meinem Kopf endlich ein entlüftendes Ventil erhielten. Erklärend wäre sicher auch, weil eines meiner beeindruckendsten Erfolgserlebnisse als Kind das Vorlesen meiner Geschichten in der vierten Primarklasse durch meinen Lehrer vor allen Mitschülern war. Eine Ehre, der sonst nur Büchern wie Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“ zuteil wurde. Ganz schön mutig, mein Lehrer.
Bling! Ratsch! Ratsch!

Nicht ganz unschuldig könnte auch meine gusseiserne Hermes-Schreibmaschine sein, deren gewichtige Schreibwalze ich als Kind nur mit beiden Fäusten hochstemmen konnte, um einen Grossbuchstaben ins Papier zu stanzen. Ich liebe das warnende Bling! der fahrradähnlichen Glocke, welches das Ende einer Zeile ankündigt, und das Ratsch!, wenn der Wagen mit einem Hebel in Hab-Acht Stellung für die nächste Linie zurückgerammt wird. Noch besser: Ratsch! Ratsch! für Absätze. Dutzende von Seiten mit Romanen aus Kinderhand hämmerte ich in Schwarz, Rot, und wenn auch diesem Farbband die Tinte ausging, sogar in Grün, auf Papier. Selbstverständlich mit vielen Absätzen! Eine grosse Kiste im Keller erzählt bunte Geschichten davon. Die Faszination an dieser mechanischen Apparatur ist auch im Zeitalter der Ipad-Generation ungebremst. Sind Kinder zu Besuch, hauen sie schon bald in die Tasten, und es rattert, blingt und ratscht ununterbrochen auf unserer Galerie, wo das schwarze Ungetüm aus Stahl normalerweise ihr einsames, staubiges Dasein fristet.
Bling! Ratsch! Ratsch!

Am wahrscheinlichsten für meine Motivation ist wohl, dass ich es liebe, etwas Neues aus dem Nichts zu schaffen, eine Geschichte zu formen und zu Papier zu bringen. Einer Idee mit Worten Leben einzuhauchen. Ein beinahe göttlicher Akt, der jeden Kreativen zu neuen Schöpfungen animiert. Und es macht trotz aller Mühen einfach riesigen Spass, stundenlang Formulierungen und Strukturen eines Textes hin- und herzuschieben, um möglichst nah an die Vollkommenheit zu gelangen. Ein hochgestecktes Ziel, das zu erreichen mir leider noch nicht vergönnt wurde.
Bling! Ratsch! Ratsch!

Vielleicht aber hat mein tiefgründiger Esoterikfreund auch recht, und all meine Erklärungsversuche sind nur selbstgefälliges Geschwafel, überflüssiges Blabla, und ich schreibe in Wirklichkeit auch nur aus dem einen, wahren Grund, wofür alle Menschen tun, was sie eben so tun: dem Wunsch nach Liebe.

BLING!

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